Sex in jenen Zeiten

von Jack Faber © 2021

Die meisten Manuskripte über König Arthur entstanden etwa zwischen 1000 und 1500 A.D. Die Autoren brachten natürlich die Moralvorstellungen ihrer Zeit ein, mußten vor allem die Moralvorstellungen der erstarkten Kirche aber auch des herrschenden Adels einbringen. Daß es zu der Zeit, in der die Legenden spielten, im Britannien des 5. Jahrhunderts ganz andere Moralvorstellungen gab, ist sicher.

Es gibt leider nur wenige Manuskripte, die verlässlich über jene Zeit berichten. Einiges läßt sich im Mabignonion zwischen den Zeilen finden, auch in den Manuskripten des Gildas finden sich Stellen, die über die damals noch nicht lange zurückliegende Zeit des postkeltischen Heidentums berichten. Gildas war ein christlicher Mönch im 9. Jahrhundert und berichtete keineswegs freundlich über die heidnischen Vorfahren. In den frühesten walisischen Zeitzeugnissen, die einige Zeit nach der arthurischen Zeit entstanden, ist auch einiges über die heidnische Zeit zu erfahren. Die Christianisierung Britanniens erfolgte ab dem Ende des 6. Jahrhunderts, daher kann getrost angenommen werden, daß Arthur und seine Zeitgenossen – falls sie existierten – keltische Heiden waren und Christen eine zahlenmäßig unbedeutende Minderheit darstellten.

Das Narrativ über die reine Magd, die unberührte Jungfrau und die jungfräuliche Herrin, die die Ritter rein platonisch liebten und für deren Ehre sie kämpften, ist eine höfische Erfindung späterer Jahrhunderte, die im Kontext der Lehre der jungfräulichen Mutter Gottes an Bedeutung gewann. Im heidnischen Britannien des 5. und 6. Jahrhunderts kann man getrost anderes annehmen.

Ausgehend von gut dokumentierten heidnischen Kulturen der neueren Zeit kann man annehmen, daß die Jungfrauenschaft vor allem für den Adel und den vermögenden Stand von Bedeutung war. Ging es doch darum, die höheren Töchter möglichst gewinnbringend, das heißt besitzbringend zu verheiraten. Daß die Braut unberührt war, folgte einerseits der geheimen Angst des Mannes davor, die Braut wüßte in sexuellen Dingen besser Bescheid als der Bräutigam. Zweitens waren von Seiten der Braut keine früheren Liebhaber vorhanden, die sich in das Eheleben hineinzwängen konnten oder Ansprüche stellten. Drittens hatte man über lange Zeit beobachtet, daß junge Frauen sich in ihren Ersten nachhaltig verlieben konnten und ihrem Mann eher die körperliche Treue hielten. In den weniger vermögenden Schichten gab es jedoch keinen Grund, Jungfrau zu sein. Im Gegenteil, Mädchen mit Erfahrung waren eher in der Lage, einen vermögenderen Mann an sich zu fesseln.

Daß Ritter von Zeit zu Zeit auf Fahrt gingen, könnte wahr gewesen sein. Das Herumsitzen im eigenen Haus kann ganz schön mürbe machen. Auf Fahrt zu gehen und mehr als nur die Nachbarn kennenzulernen, mag ein guter Grund gewesen sein. Manche werden aber auch auf Raubzüge gegangen sein — seinen Besitz zu mehren liegt dem Menschen im Blut.

Die Vorstellung vom Ritter in glänzender Rüstung ist völlig falsch, solche Rüstungen kamen erst ab dem 11. Jahrhundert auf. Zur Jagd ging man leicht bekleidet und vermied alle Accessoires, die Lärm machen konnten. Zum Kämpfen trug man Tierhäute und Tierfelle, die manchmal mit kleinen eingenähten Knochenstücken verstärkt waren. Wolfsfelle waren sehr verbreitet, da es viele Wölfe gab und das Wolfsfell besser als andere Felle vor Schnitten und Stichen schützten. Helme waren im besten Fall Blechtöpfe oder aus mehrfach genähtem Leder, die Phantasiehelme aus Tierschädeln wurden von Illustratoren des 19. und 20. Jahrhunderts erfunden. Kettenhemden konnten sich nur die Superreichen leisten, da diese aus dem Orient eingeführt werden mußten, gingen aber von Besiegten auf Sieger über. Ein Kettenhemd im Kampf zu erbeuten war der absolute Jackpot.

Fahrende Ritter waren auf die Gastfreundschaft anderer angewiesen. Gastfreundschaft war Essen und Trinken, aber auch eine sichere Unterkunft. In England ist der Herbst, der Winter und der Frühling kühl oder kalt. Die Menschen legten sich in Grüppchen eng aneinander geschmiegt zu Bett und wärmten sich gegenseitig. Einzig der Herr und die Herrin schliefen zusammen und wärmten sich gegenseitig. Der Gast war allein und brauchte doch jemanden, um sich warm zu halten. In dem Wissen, daß der Gast im Fall einer Schwangerschaft die Bettgenossin ausreichend finanziell unterstützte und das Empfangen eines Bastards keine Schande mit sich brachte, galt es als ganz normal, beim Gast zu liegen. Je vermögender ein Gast war, umso mehr bemühten sich die Töchter oder Mägde, beim Gast zu liegen und mit ihm zu Vögeln. War ein Gast von ungewöhnlicher Häßlichkeit, mußte er oft elendiglich frieren, wenn er unfähig war, sich eine aus dem Gesinde mit mehr oder weniger Gewalt gefügig zu machen. War der Gast jedoch hübsch, muskelbepackt und strahlte Männlichkeit aus, dann kam es sicherlich vor, daß sich die Hausherrin selbst in sein Bett legte. Je nach Vermögen und Stand tolerierte es der Gastgeber schulterzuckend oder die Herrin mußte erfinderisch werden. Ein gut beschriebenes Beispiel mag das Bubenstück der Isolde Weißhaar sein, die ihre jungfräuliche Magd Brangaine heimlich ins Bett des alten Königs Marke legte, so daß der König seine vorgebliche Braut entjungfern und danach bei Bedarf ficken konnte, während die schlaue Isolde bei ihrem Tristan lag.

Die heidnische keltische Gesellschaft ließ sich von den Römern nicht in die Sexualität dreinreden, man duckte sich und verachtete die vielen Restriktionen, die die Römer ihnen auferlegten. Doch kaum waren die Römer fort, lebten ihre sexuellen Vorstellungen und Regeln auf. Natürlich war dem Sex nur ein kleiner Teil der Zeit gewidmet; man mußte sich ums Jagen, Holzsammeln, Felderbestellen und die Küche kümmern. Die Vorstellung der Römer bezüglich der Schamhaftigkeit ging mit den Besatzern; die Kelten kannten den Begriff der Schamhaftigkeit nicht. Wir könnten es sicher nicht nachvollziehen, wie schamlos, freizügig und obszön man damals die Sexualität in aller Öffentlichkeit auslebte. Ficken oder Selbstbefriedigung waren etwas ganz Natürliches, das man weder verheimlichen noch verbergen mußte. Kam man in eine Kammer, in der gerade Zwei vögelten, schaute man einfach zu oder ging seines Weges. Das hatte mit Voyeurismus nichts zu tun, ebensowenig mit Exhibitionismus. Die Regeln in Bezug auf die Sexualität werden vermutlich von Männern aufgestellt worden sein, doch sie wurden von allen akzeptiert und im Alltag gelebt. (Mehr dazu später.) Die Bevölkerung war sehr dünn, so versuchte man, Schwangerschaften zu fördern, damit das Volk wuchs. Schwangere Frauen wurden privilegiert behandelt. Die Regeln benachteiligten die Frau nicht, auch sie waren der Meinung, daß Kinder die Stärke des Volkes förderten. Die Kindersterblichkeit war hoch, viele Frauen starben bei der Geburt oder im Kindbettfieber. Frauen wurden selten älter als 40, so gab es viele Witwer mit sehr viel jüngeren Ehefrauen. Man genoß den Sex ohne Einschränkungen und schamlos offen, denn er war einer der Dinge, die Jedermann zur Verfügung stand. Männer versuchten so viele Frauen zu vögeln wie sie nur konnten und Frauen waren gleichermaßen an Sex interessiert. Etwa so muß man die stark sexualisierte Gesellschaft und ihren offenen, freizügigen und in aller Öffentlichkeit ausgeübte Sexualität begreifen.