"Willkommen bei den Jareel, Raimund!" hatte die Stimme gesagt.
"Bitte nenne mich Ray", sagte er, "Raimund ist so offiziell und ein bißchen altvatterisch!"
"Also schön, Ray, ganz wie du willst! Sei uns willkommen, wir haben lange nach dir gesucht und es ist sehr befriedigend, daß du bei uns bist!"
Ray dachte, es sei seltsam, sein Gegenüber nicht zu sehen. Wer waren sie, wer war die Stimme?
"Ich werde alle deine Fragen beantworten," sagte die Stimme und setzte fort: "Ich kann deine Gedanken hören, frage nur ruhig, wenn du mehr wissen willst!"
In dem sanften Lichtschimmer wurde undeutlich ein Gesicht sichtbar, das ihn anschaute und mit ihm sprach. Es war ein sanftes, kluges Gesicht, das ihn freundlich betrachtete.
"Wir sind eigentlich körperlos, unsere Existenz braucht keinen Körper wie ihr. Und wir sind viele auf dieser Raumstation, etwa eine Million, und wir agieren meist gemeinsam. — Ach, die Raumstation? Sieh her, ich zeige sie dir!"
In der Luft vor seinem Gesicht erschien ein seltsam geformtes Objekt. Es sah am ehesten wie ein langgestreckter Igel aus, auf der Vorderseite wie auch auf der Rückseite ragten antennenförmige Spitzen und Türme hervor. Das Objekt war völlig dunkel. Plötzlich glommen tausende Lichter auf und beleuchteten es. Erst jetzt erkannte Ray, wie komplex es war. Seine Augen glitten über die vielen Tausend Details, die auf der Oberfläche zu erkennen waren. Es war ein riesiges Raumschiff und Ray betrachtete es mit großem Interesse. Wie groß es wohl sein mag, rätselte er und wußte gleich die Antwort. Es war 5,4km lang und hatte einen Durchmesser von 1,2km. Das Objekt wurde wieder dunkel und verschwand. Es war etwa 500.000km von der Erde entfernt und war getarnt, unsichtbar für alle Irdische. Ray mußte einige Male schlucken, da war er also. Ein kleines Menschlein, unsichtbar weit draußen im All.
Sein Gegenüber ließ ihm Zeit, es zu verdauen. Ray schloß die Augen. Hamurabi war vor ihm auf diesem Bänkchen gesessen, bevor er König des babylonischen Reiches wurde. Imhotep, Priester und Architekt des alten Ägyptens. Chandragupta Maurya, der Indien regierte. Pakal, der große Mayakönig. Deganawidah war der letzte derer, die hier gesessen hatten. Dieser hatte vor gut 900 Jahren die erste Demokratie Nordamerikas, den Bund der Irokesen, gegründet und von einem Tag auf den anderen den Kannibalismus abgeschafft, als er von den Jareel heimkehrte. Er verstand natürlich nicht, daß die Jareel wegen der Seuchen besorgt waren, die der Kannibalismus unweigerlich ausgelöst hätte.
Und jetzt er. Warum er!?
Die Gedanken strömten auf ihn ein, er begriff allmählich und bruchstückhaft, wie sie auf ihn gekommen waren. Es hat sehr viel mit den Genen deiner ersten Partnerin zu tun, flüsterte die Stimme in seinem Geist. Er dachte nach. Ilse? Die Stimme zögerte einen Moment. "Nein, die davor!" flüsterte sie. Er wurde puterrot, weil ihm alles wieder einfiel, als wäre es gestern gewesen. "Wir wissen alles," flüsterte die Stimme, beinahe unhörbar. "Die Gene deiner Mutter und die deines Vaters, des Magiers Magnus, ergaben einen Mix, den man nur selten findet! Wir beobachteten dich im Heranwachsen, amüsierten uns bei deinen Nachmittagen mit den Schulmädchen ebenso wie bei deinen Raubzügen. Du hast uns überzeugt, daß du der Richtige bist!" Das Wispern erstarb.
Das Wissen strömte in seinen Geist und er wußte plötzlich alles, was er wissen mußte. Die Jareel auf dieser Raumstation waren seit vielen Jahrhunderttausenden hier und beobachteten die Entwicklung der Menschheit. Sie griffen fast niemals ein, die Menschen mußten sich ganz natürlich entwickeln. Die Entwicklung der Atomkraft war nicht zu verhindern und die Jareel hatten beschlossen, einzugreifen. Diese Entwicklung führte direkt in den Abgrund, das konnten sie nicht zulassen. Er war dazu ausgewählt worden, es zu verhindern.
Ray mußte sich als Vertreter der Jareel an die Menschheit wenden und ihre Botschaft überbringen. Und ausführen. Darum war er hier.
Das freundliche Gesicht blickte ihn direkt an. "Sag mir drei Dinge, die dich an deiner Welt stören," forderte ihn die Stimme auf.
"Krieg, Hunger, Armut, Zerstörung des Planeten, Ausbeutung" schoß es Ray durch den Kopf.
"Das waren mehr als drei," lächelte das Gesicht und strahlte ihn an. "Das sind gute Ziele," tönte es in seinem Kopf. "Daran können wir arbeiten."
Ray nickte, damit war er einverstanden. Doch — wie sollte das geschehen? Er wartete auf eine Antwort, aber die Stimme schwieg. Also, seufzte Ray, die Führer der Welt zu einem Meeting zusammenrufen, und... und dann tritt ihnen ein 32jähriger völlig Unbekannter entgegen und fordert, was auch immer? Er lachte und schüttelte den Kopf, das ging nicht! Er lachte bei der Vorstellung, im Vorzimmer egal welches Präsidenten aufzutauchen und eine Botschaft von Außerirdischen zu überbringen. Das war einfach nur blöde.
Er dachte angestrengt nach. Es mußte etwas sehr Überzeugendes sein, etwas, das einerseits nicht zu weit von der Phantasie der Menschen abwich und das andererseits beeindruckend genug war, damit sie zuhörten. Allmählich sammelte er seine Gedanken, die sich aus vielen einzelnen Schnipseln zusammensetzten. Er lächelte, denn vieles stammte aus Hollywoodfilmen und Romanen. Aber das war egal, es mußte nur wirksam sein.
Die Jareel konnten alles. Telekinese, Teleportation, Gedankenlesen und Gedanken beeinflussen. Sie konnten alle Materialien beschaffen, herstellen oder neue entwickeln. Sie konnten Lebewesen genauso klonen wie Objekte jeglicher Art. Sie waren technisch so weit entwickelt, daß sie alles Denkbare perfekt produzieren konnten. Ray nickte zufrieden, "gehen wir's an!" rief er und fiel in tiefen Schlaf.