Detektiv, Ankläger und Richter

von István Rudas © 2022

Die Piraten an den asiatischen Küsten waren im Fokus von Rays Arbeit. Lin versorgte die entlegenen Gebiete mit Lebensmitteln und er hieb auf die Gangsterbanden ein. Er war Detektiv, Ankläger und Richter in einem, er nahm seine Aufgabe sehr ernst und sein Fluch traf ganz selten daneben. Er konzentrierte sich auf die Überfälle der Piraten auf die Dörfer, die nicht kooperieren wollten oder wo es etwas zu rauben gab, und sei es nur der Fisch der Fischer. Es gab Überfälle, wo nur geraubt, aber nicht geschändet wurde. Er bestrafte die Räuber mit einer temporären Lähmung eines Arms oder Beines, das nach ein oder zwei Monaten nachließ. Das war für viele Piraten Strafe genug. Podukhai nahm ihre Aufgabe sehr ernst und verbreitete in den asiatischen Medien die Botschaft, daß das die biblische Plage war, die ihnen angedroht worden war.

Die Piraten vergewaltigten seit Jahrhunderten die Frauen und Töchter der Fischer, gnadenlos überfielen sie die Frauen und Mädchen zur Befriedigung ihres Triebes. Sie ignorierten beharrlich Podukhais Warnungen und sahen es als ihr angestammtes Recht. Ray hatte schon Tausende Vergewaltigungen angesehen, sein Zorn aber war gleich geblieben. Er entmannte die Piraten in dem Augenblick, wo sie in die Frau eindrangen oder, wenn er zu spät kam, wenn sie sich ergossen hatten. Die Frauen wehrten sich selten, denn sie wollten nicht umgebracht werden. Das konnte Ray sehr gut verstehen, das nackte Überleben steckt in der menschlichen Natur. Wenn die Frau vom Vergewaltiger umgebracht wurde, tötete Ray den Mörder auf der Stelle. Er rettete dadurch viel mehr Frauenleben als er Mörder richtete. Das war das Belastendste in seinem Bandenprojekt.

Manchmal aber war die Vergewaltigung gar nicht brutal und gewaltsam. Die Frauen wollten gar nicht vergewaltigt werden und zogen den Piraten lächelnd auf ihre Bastmatte. "Du brauchst mir nicht weh zu tun, um deinen Willen zu bekommen!" sprach das Übersetzungsmodul, als die Frau den Piraten umarmte. Ray ertappte sich immer wieder, daß er den beiden einfach nur zuschaute und bis zum Schluß nicht eingriff. Er beschönigte seinen Voyeurismus, daß er neben allem ein Mann war. Er schämte sich viel zu sehr, um es mit Lin zu besprechen. Lin merkte natürlich, wenn er still zusah und verstand ihn. Irgendwann sagte sie es ihm und daß es für sie in Ordnung war. Er nickte zerstreut, er wollte über seinen wunden Punkt nicht reden. Es tat trotzdem gut, daß seine Frau ihn verstand. Tatsächliche Vergewaltigungen machten ihn rasend und er entmannte die Piraten auf der Stelle. Die asiatischen Piraten waren sehr hartnäckig und weigerten sich, aufzuhören.

Ray hatte es in Mittelamerika und Südamerika mit einem ganz anderen Schlag von Gangsterbanden zu tun. Sie waren die brutalsten Vergewaltiger und ermordeten zudem viele ihrer Opfer. Ray entwickelte erst in dieser Zeit seinen Entschluss, die Mörder sofort zu töten. Er hatte viele Stunden mit Lin darüber diskutiert, aber auch sie war der Meinung, diese Mörder zu töten. Es fiel ihm sehr schwer, doch irgendwann beschlossen Ankläger und Richter, den Mörder sofort zu töten. Das hatte eine durchschlagende Wirkung, die Frauenmorde nahmen rapide ab und waren nur noch äußerst selten. Die Entmannung war für die Machos fürchterlich, sie wurden Parias in ihrer Gesellschaft. Es hörte nicht auf, doch die Gangster wußten ganz genau, daß ein Gott sie strafte. Und sie fürchteten einen strafenden Gott in ihren verdrehten Seelen fast mehr als den Teufel. Ray verlegte seinen Fokus wieder auf die asiatischen Küstenpiraten.

Zeus lud die Diplomatinnen wieder zu einem Besuch ein. Ray ergötzte sich wie immer an ihrem Anblick. Zeus ließ die Diplomatinnen von ihren Anstrengungen berichten, sie hatten wie gewünscht Statistiken mitgebracht. Zeus kannte die Zahlen natürlich genauer als sie, aber es war eine gute Gelegenheit, die Diplomatinnen sprechen zu lassen. Anne berichtete von Lateinamerika, daß viele Vergewaltiger entmannt und Mörder tot umgefallen waren. Sie blickte von ihren Zetteln auf und sah Zeus direkt an. "Dein Werk?" fragte sie und er bestätigte, daß er die Mörder sofort bestrafte. Anne wollte etwas sagen, doch er setzte fort: "Eure demokratischen Regeln sind ganz in Ordnung, Ermittlung, Gerichtsverhandlung und Bestrafung. Meine Regeln sind nicht so. Ich schaue in die Seele des Menschen und kann sofort entscheiden. Gerecht entscheiden!"

Podukhai sagte, es sei in Asien ähnlich gewesen und sie habe schnell erkannt, daß es sein Werk war. Sie hatte die Materie mit vielen Diplomaten und Parteileuten diskutiert und im Endeffekt hatte kaum einer einen stichhaltigen Einwand. Regine Durieux hatte nichts aus Europa zu berichten, aber in Afrika wüteten die Banden immer noch wie die Pest. Der afrikanische Kontinent litt sehr und ihr, Regines, Einfluß auf die dortigen Regierungen und Machthaber nur minimal. Selbst Konsultationen auf höchster Ebene konnten die Machthaber nicht zum tatkräftigen Handeln bewegen. Das Geld der Europäer war natürlich jederzeit willkommen. Zeus versicherte ihr, daß er ihre Bemühungen genau verfolge und daß sie gute Arbeit leiste. Es würden noch Jahrhunderte vergehen, bis der Großteil der Menschen mit ihrer Gewaltbereitschaft umzugehen lernten. Die Audienz dauerte lange und zum Schluß bedankte sich Zeus für ihr Kommen. Ray gab ihnen das gute Gefühl mit, daß sie alles richtig machten und der Gott sie liebte. Sie blinzelten, als sie wieder vor ihren Regierungssitzen standen und spürten die Liebe Zeus' in ihren Herzen.

Ray schaute sich die heimlichen Aufnahmen Lins von den Diplomatinnen an, bis er schwitzte. Er sagte Lin, wie aufregend ihre Aufnahmen waren, aber daß er die Nacht trotzdem mit ihr verbringen wollte, denn er liebe nur sie. Dennoch ergab es sich irgendwie, daß Podukhai die Nacht mit ihnen verbrachte. Er küßte Lin am Morgen dankbar und witzelte, wie gut es sei, daß sie ihre Meinung nie änderte. Er war hungrig und Lin stahl ihr ausgiebiges Frühstück aus einem berühmten Pariser Hotel. Sie nahmen den Tag frei, gingen im Wald spazieren und badeten im Meer. Lin servierte den Sundowner an den Sandstrand und sie saßen aneinandergeschmiegt im Sonnenuntergang. Ray hatte das Bedürfnis, über die Nacht mit Podukhai zu reden. Lin nahm seine gestikulierenden Hände in ihre und hörte ihrem leidenschaftlichen Mann zu. Er hatte ja recht, es war schön und aufregend und er mußte einfach darüber reden. Lin war ein bißchen stolz, ihn mit der wunderschönen Mongolin überrascht zu haben.

Präsident White liebte feierliche Gesten, patriotischen Pomp und Medaillen. Pompös, feierlich und patriotisch legte er die Friedensmedaille um den Hals seines Vorgängers Andrews. Er war ein reicher Mann und hatte mit festem Blick auf seine Karriere penibel seine Steuern bezahlt. Er wirkte daher ein wenig überheblich und arrogant, wenn die reichen Kumpels anriefen und Steuernachlässe herausquetschen wollten. Es war ein Tanz auf der Rasierklinge, würde Zeus sich diesmal täuschen lassen? Aus vielen Gesprächen mit Anne gewann White den Eindruck, daß dieser sich von billigen Taschenspielertricks nicht beeindrucken ließ, er sollte Recht behalten. Anne, deren Gehalt sich mehr als verdoppelt hatte, beeindruckte den Präsidenten mit ihrer tollen Kampagne, Mittelamerika und Lateinamerika bis in die hintersten Winkel vor den biblischen Plagen des Außerirdischen zu warnen. Der Rückgang der Überfälle, der Vergewaltigungen und der Morde war phänomenal. Und White konnte sich mit diesen Federn schmücken.

Podukhai befolgte den Auftrag Zeus' und trug seine Botschaft in alle asiatischen Medien. Der Große Vorsitzende hatte sie öffentlich gelobt und ihr damit granitharten Rückhalt gegeben. Die kleinen Provinzkaiser beklagten sich bitter, daß die Piraten immer weniger Schmiergeld zahlten. Podukhai hatte noch nie in ihrem Leben auch nur einen einzigen Yuan angenommen und ließ sie still und heimlich feuern, alle. Zeus zollte ihr bei einem ihrer Telefonate seinen Respekt. Podukhai wurde es warm ums Herz, der Außerirdische schien sie wirklich zu mögen. Nicht verwunderlich also, daß er häufig in ihren Träumen und Phantasien erschien.

Eine große Zeitung, die New York Times, brachte eine Artikelserie über die biblischen Plagen. Die Autoren brachten Zahlen, Statistiken und Fakten. Der Rückgang der Verbrechen in Lateinamerika war beeindruckend. Dennoch traten die Autoren eine heiße Debatte zum Thema Todesstrafe los, der das ganze Land auf Trab hielt. Woher nahm sich ein Außerirdischer das Recht heraus, die Todesstrafe in großer Zahl zu verhängen? War das richtig oder empörend? Es dauerte Wochen, bis das Thema unentschieden aus den Medien verschwand. Lin und Ray verfolgten natürlich die hitzigen Debatten aufmerksam, aber sie schwiegen. Rays Mutter war dafür, sein Vater dagegen. Ray kaute jedes ernsthafte Argument durch, aber er machte unbeirrt weiter.

Er folgte den Piraten Asiens und den Banden Afrikas. Es war wohltuend, wenn sich inmitten aller Gräuel einige Menschen ohne Gewalt paarten. Er schaute ihnen lächelnd zu, und es gab keinen Grund, sie zu bestrafen. Die geschmeidigen, von zartem Trieb erfüllten Seelen der Vietnamesinnen, Laotinnen und Kambodschanerinnen ließen ihn die Seele der Afrikanerinnen besser verstehen. Die Seelen waren doch sehr ähnlich, die Afrikanerinnen waren etwas wilder und fordernder in ihrem Trieb. Ray war immer froh, nicht lähmen, entmannen oder töten zu müssen. Er zeigte diese Aufnahmen gerne Lin, obwohl sie nicht so voyeuristisch veranlagt war wie er. Er konnte diesen friedlichen Vereinigungen stundenlang zusehen.

Die meisten Menschen hatten den 26. August ganz unspektakulär begonnen, ein Sommertag wie gestern und morgen. Die Reichsten der Welt saßen aber wie auf glühenden Kohlen. Pünktlich zum Börsenbeginn gingen Spenden an die Organisationen, die gute Ziele verfolgten. Lin hatte einen Bildschirm neben den Frühstückstisch gerollt. Sie genossen das prächtige Frühstück, das Lin aus einem feinen Hotel in Wien stiebitzt hatte und sahen sich die Nachrichten an. Nicht ohne Schadenfreude vermeldeten die Sender, daß die heutige Spendenaktion 1.250 Milliarden Dollar für die Organisationen eingebracht hatte. Weniger als vor einem Jahr, aber doch ein ordentlicher Schub für die Empfänger. Stundenlang wurden deren Präsidenten interviewt und befragt, was sie mit dem Geld machten und welche konkreten Projekte sie in Angriff nehmen konnten.

Von Berlin bis Kapstadt, von Beijing bis San Francisco glühten die Telefonleitungen, die Reichen dieser Welt bombardierten ihre Regierungen, was sie gegen diesen ungeheuerlichen Raubzug zu tun gedächten. Es half wieder nichts, Spende war Spende! Ray und Lin grinsten breit und frühstückten in aller Ruhe. Der heutige Tag war frei, sie lasen, hörten Musik und sprangen ins Meer. Alle paar Stunden sahen sie sich die neuesten Nachrichten an. Zeus rief die Diplomatinnen abends an, die Listen der Spender waren an die Regierungen verteilt worden. Die Diplomatinnen waren sehr zufrieden, denn die Auswahl der Organisationen war ausgezeichnet. Podukhai wußte, daß China nur einen kleinen Batzen erhielt, weil es außerhalb des Parteiapparates kaum helfende oder forschende Organisationen gab. Sie versprach, den Großen Vorsitzenden auf diese Problematik anzusprechen, wenn sie das nächste Mal bei dem alten Mann lag. Zeus/Ray schmunzelte still. Chinas jetziger Chef liebte junge Mädchen ebenso wie damals der erste Vorsitzende Mao Zedong.

Ray und Lin videophonierten mit seinen Eltern, die die heißen Tage am Semmering zubrachten, wo es dort viel kühler war. Es ging ihnen ausgezeichnet am Semmering, doch als der Vater das Gespräch verlassen hatte, sagte die Mutter, er huste viel, vielleicht rauchte er doch zuviel. Aber der Hausarzt war nicht besorgt, also kein Grund zur Besorgnis. Ray war nach dem Gespräch doch etwas besorgt. Er fragte Lin, ob die Jareel da etwas machen konnten. Sie horchte einige Minuten wie abwesend in sich hinein, dann nickte sie, dem Vater würde es in 10 Tagen oder zwei Wochen wieder besser gehen, er wäre dann geheilt. Ray küßte Lin dankbar und ging für einige Minuten in den Wald hinaus, Lin sollte ihn nicht weinen sehen.

Ray war 38 geworden, Lin 24. Sein Bandenprojekt zermürbte ihn und er brauchte eine Auszeit, ein freier Tag genügte nicht. Er sprach es abends an, als sie die Bildschirme abgeschaltet hatten und ihren Whisky und Gin tranken. Lin fühlte sich noch nicht urlaubsreif und hörte ihm aufmerksam zu. Es waren lange fünf Jahre, sie hatten Tag für Tag am Bildschirm gearbeitet und sehr viel erreicht, den Hunger und die Banditen bekämpft. Die Armeen schossen nicht mehr aufeinander und die Reichen spendeten an Organisationen, die gute und kluge Ziele verfolgten. Die Menschheit machte in kleinen Schritten Fortschritte. Ray, Zeus und Lin mußten das nächste große Ziel, die Zerstörung der Welt, der Ozeane und des Weltklimas gar nicht anschieben. In den Regierungen und Organisationen gab es genügend Menschen, die es aus eigenem Antrieb und aus Einsicht voranbrachten. Die Dürren, die Waldbrände und die Überschwemmungen sprachen eine unerträgliche Sprache.

Lin wollte wissen, ob er einen Urlaub machen wollte, inkognito auf der Erde? Er dachte lange nach, es sprach vieles dafür, vieles dagegen. Letztlich verwarf er den Gedanken, Zeus wurde gerade jetzt häufig ad hoc gebraucht, und das war viel wichtiger als ein Segeltörn in der Karibik. Lins Vorschlag, drei oder viermal im Jahr eine Woche zu faulenzen, ohne das Raumschiff zu verlassen, war ein sehr guter Gedanke. Es sprach nichts dagegen und Ray kicherte, die Frau Gewerkschaftspräsidentin würde gewinnen. Mit dem Ruderboot zu den kleinen Inselchen zu rudern oder eine Nacht im Wald zu campen war mal was neues, faul auf der Couch zu liegen und Filme oder Serien anzuschauen auch. Sie arbeiteten normal weiter und legten fest, wann sie eine Woche Urlaub nehmen würden.

Ray genoß die erste freie Woche in vollen Zügen. Lin brachte die ausgefallensten Delikatessen auf den Tisch, sie kosteten die erlesensten Weine und Lin hielt sich zurück, ließ ihm Raum und Luft, durchzuatmen. Jeden Abend legte sie eine begehrenswerte Asiatin zu ihm. Sie suchte die Mädchen sorgfältig aus, sie mußte bereitwillig sein und seinen Vorlieben entsprechen. Ray war nach dieser Woche gut erholt, erfrischt und voll neuer Energie.

Präsident White bekräftigte in mehreren Interviews, daß er die freiwillige und unfreiwillige Besteuerung der Reichen für gut hielt. Viele Probleme konnten gelöst werden und Vorhaben realisiert werden. Noch nie hatten so viele Staaten so gut ausgebaute Sozialnetze, was vielen Menschen zugute kam. Die Menschheit entwickelte und forschte in noch nie dagewesenem Ausmaß. Die Weltwirtschaft produzierte Rekord auf Rekord. Die entwickelten Staaten halfen großzügig und brachten Bildung in die nicht gut entwickelten Länder. Afghanistan wurde weltweit verachtet, weil es den Mädchen die Bildung immer noch verweigerte. Natürlich konnte Präsident White nicht alles für sich reklamieren, doch er stolzierte wie der Führer der westlichen Welt in und aus den Interviews, der eitle Pfau. Anne verachtete ihren Chef insgeheim, aber sie behielt es für sich. Die meisten Menschen durchschauten seine Maske, aber niemand war deswegen empört. Eines machte White nämlichgenauso gut wie Andrews, er ließ gute Leute arbeiten und redete ihnen nicht drein. Seine Administration gab sich alle Mühe, die Besten der Besten zu engagieren. Es war mühsam, denn jeder Onkel mußte einem unfähigen Neffen einen lukrativen Job verschaffen. Es war ein Ärgernis, das nicht aus der Welt geschafft werden konnte.

China als Weltmacht konnte es sich leisten, mit ihrer gewaltigen Armee und ihren unzähligen Schiffen das Piratenunwesen an den asiatischen Küsten zu bekämpfen. Podukhai hatte einen wichtigen Verbündeten im Kriegsminister, der froh gewesen wäre, seine Armee in einen Einsatz zu schicken. Podukhai startete Medienkampagnen und brachte das Unwesen der Piraten ins Volksbewußtsein. Sie scheute nicht davor zurück, Woche für Woche beim impotenten Alten Mann zu liegen und ihm zu Willen zu sein. In winzigen Schritten schaffte sie es, ihn zu überreden. Es war für die Partei gut, für China und die internationale Anerkennung sowieso. China ging auf die Piraten los. Zeus konnte in ihren Telefonaten heraushören, wie viel Widerwillen sie unterdrücken mußte, um sich zum Alten Mann zu legen und zu heucheln.

Für Ray und Lin waren die Veränderung der Arbeitszeit und die Urlaubswochen eine spürbare Verbesserung. Sie verbrachten viel mehr Zeit miteinander und diskutierten oft über reale Probleme der Menschheit und des Planeten. Die Verschmutzung der Atmosphäre und der Ozeane befeuerten die Klimaverschlechterung, soziale Schieflagen ließen Arm und Reich immer mehr auseinanderdriften. Ray überlegte laut, daß die Jareel mit ein bißchen Hokuspokus all dies beseitigen könnten. Doch Lin und die Jareel, die aus ihrem Mund sprachen, hielten nichts davon. Es wäre erstens nicht nachhaltig, weil zweitens die Menschen ihr Verhalten nur selbst ändern konnten. Würden sie zum Beispiel das Klima um 5 Grad abkühlen oder das Plastik aus den Ozeanen fischen, dann würden die Menschen die Luft weiter verdrecken, die Ozeane ebenso. Die Kriege zu beenden war nachhaltig, den Hunger zu beenden ebenso und die Besteuerung der Vermögenden führten zu einem sofortigen Umdenken. Ray wußte, daß Lin und die Jareel recht hatten. Die Menschheit mußte sich schrittweise weiterentwickeln und die Probleme selbst lösen. Es stimmte natürlich, daß es den Hokuspokus gebraucht hat, um die Kriege zu beenden, aber es waren die Menschen selbst, die daraus eine Friedensordnung gemacht haben. Es war natürlich Hokuspokus, den Kampf gegen den Hunger zu starten, aber es waren die Menschen, die das Verteilungsproblem angingen und die Selbstversorgung zu einem Schwerpunkt gemacht haben. Es war natürlich Hokuspokus, die gerechte Besteuerung der Vermögenden anzustoßen, doch es waren die Menschen, die mit dem Geld etwas Sinnvolles machten, ordentlich in Forschung investierten und Organisationen förderten, die sich um die zahllosen Probleme der Menschheit und des Planeten kümmerten. Ohne Hokuspokus wäre sein Bandenprojekt nicht machbar gewesen, doch es waren die Menschen, die erkannt hatten, daß man dem Spuk ein Ende bereiten konnte oder das Bandenproblem wenigstens zum Teil in den Griff bekommen konnte. Lin sah ihn mit großen Augen an, "das verstehst du doch, mein Liebling?" Ray stimmte ihr zu, alles mit Hokuspokus lösen zu wollen wäre falsch.

Lin sah ihn direkt an. "Die Jareel sind daran interessiert, die Menschheit auf den richtigen Weg zu bringen. Es gab nur zwei Wege, eine führte die Menschheit in die Gemeinschaft der Völker des Universums, der andere wäre der Untergang, das Ende des Experimentes Homo Sapiens. Wie Zeus es von Anfang an gesagt hatte wollen die Jareel die Menschheit retten. Es ist noch Zeit dafür." Ray senkte den Kopf, denn es war genau das, was ihn umtrieb. Das brauchte er gar nicht aussprechen, Lin wußte das.

Lin versorgte die entlegenen Gebiete und Dörfer täglich, suchte nach diesen Regionen und wanderte mit der "Kamera" von Hütte zu Hütte. Sie bewegte sich jetzt häufig in chinesischen Dörfern, da man sich nur wenig um Alte und Kranke kümmerte. Es waren vor allem chinesische Städte, die ihrer Lebensmittel beraubt wurden. Podukhai war immer vorsichtig, wenn sie beim Alten Mann lag, der Palast hatte überall Augen und Ohren. Dennoch warnte sie ihn, daß das Volk die Lügen der Staatsmedien nicht ewig ertragen würde. Es war gefährlich, falsch und gefährdete auch ihn persönlich, wenn man das Volk belog und von großherzigen Lebensmittelspenden sprach. Er blieb aber stur und wollte sich von diesem seltsamen Außerirdischen nichts aufzwingen lassen, um keinen Preis! Es war schon schlimm genug, daß die Weltmacht China entwaffnet worden war. Der Vorsitzende sprach nur im privaten Kreis von der Zwangsbesteuerung, denn er selbst hatte kein Vermögen angehäuft und verachtete jene abgrundtief, die Geld scheffelten und damit auch die Ziele der Partei verrieten. Privat hörte man ihn murmeln, "Recht geschieht ihnen!" Podukhai telefonierte oft mit Zeus und war verbittert, daß sie beim Vorsitzenden nicht mehr viel erreichte. Zeus gelang es immer, sie aufzurichten und sie von neuem mit Elan in die Schlacht zu schicken. Es sei nicht vergebens, wenn sie sich prostituierte. Bei jedem Gespräch betonte er, wie sehr er sie schätzte und liebte. Podukhai fühlte diese Liebe nach jedem Gespräch warm in ihrem Herzen.

Lin und Ray genossen die Urlaubswochen auch deswegen, weil sie sich gegenseitig Raum und Zeit gaben und nicht aufeinanderhockten. Es tat ihnen wirklich gut, einander Freiraum zu lassen. Lin gewann ihre innere Stärke und Balance, da sie sich im Urlaub häufig einen lendenstarken Liebhaber holte. Sie liebte es sehr, sich einen Tag lang einem speziellen Thema zu widmen und das Thema zu erforschen. Sei es die Seidenspinnerei oder die mittelalterlichen Höfe, sie interessierte sich für alles. Natürlich verbrachte sie Zeit mit Ray, wenn es ihnen beiden passte.

Ray konzentrierte sich auf das Bandenprojekt, ließ Mörder sterben und hatte mehr Nachsicht mit den anderen. Er setzte das Lähmen bei Jüngeren eher als das Entmannen ein. Er verstand besser als früher, welch starker sexueller Notstand die Jüngeren antrieb. So lange sie nicht mordeten oder exzessive Gewalt anwandten, ließ er ihnen Zeit und lähmte sie erst nach der Paarung. Es erschien ihm gerechter zu sein. Natürlich schaute er sich am Abend gerne die Aufzeichnungen von Paaren an, die keine Gewalt anwendeten. Lin lächelte wissend, das war ihr Ray!

Ray wußte, daß er gegenüber den Piraten nachsichtiger wurde. Er haßte es, die Mörder sofort mit dem Tod zu bestrafen. Er haßte es, daß einige Piraten von reiner Mordlust getrieben die Mädchen umbrachten und den Tod verdienten. Viel rascher als zuvor griff er ein und lähmte den Mörder vor dem Mord. Es war sehr anstrengend, die Abläufe zu verfolgen und den Mord zu verhindern, aber er atmete immer befreit auf, wenn es gelang. Lin lächelte und bestärkte ihn, das gab ihm die Kraft, weiterzumachen. Wie vom Blitz getroffen sackten die Mörder zusammen und lagen gelähmt und entsetzt auf dem Boden, bevor sie morden konnten.

Weder er noch Lin konnten später sagen, wie sie auf die Idee kamen, das Geld, das an die Organisationen ging, genauer anzuschauen.